Kategorien: Politik, Europa, Gesellschaft

Es ist durchaus üblich, ein Buch in Form eines Briefes zu verfassen. Auf dieses Stilmittel greift auch der Politikwissenschaftler Jan Zielonka zurück und schreibt sein Buch „Konterrevolution“ als Brief an seinen verstorbenen Mentor Ralf Dahrendorf. Auch dieser hatte zu Lebzeiten ein Buch in Briefform, das sich mit der Zeit um 1989 befasst und in Osteuropa eine liberale Revolution auszumachen glaubt. 

Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinunter geflossen, wie wir in Baden-Württemberg zu sagen pflegen, und es ist wieder an der Zeit, neu über die Geschehnisse nachzudenken, die sich in Europa abspielen. Jan Zielonka sieht in Europa eine „illiberale Konterrevolution“ am Werk und er möchte deren Ursachen und Wirkungen verstehen. „Zerfällt Europa? Können offene Gesellschaften überleben? Wie lässt sich die Wirtschaftskrise überwinden? Wird Europa sich wieder sicher fühlen?“ Diesen Fragen wird das Buch nachgehen.

Jan Zielonka versteht sich als „lebenslangen Liberalen“ und versucht eine selbstkritische Reflexion, um herauszufinden, welche Fehler zur heutigen Populismuswelle beigetragen haben und ob sich „die Pendelbewegung der Geschichte“ noch einmal umkehren lässt. 

Es sieht so aus, als ob Europa als liberales Projekt neu erfunden werden müsse. „Liberale Werte, die Europa über viele Jahrzehnte zur Blüte verholfen haben, sind verraten worden.“ Und dennoch glaubt Zielonka, dass Europa noch zu retten sei. Er versucht, anhand neuer Merkmale der Demokratie, der Wirtschaft und der Kommunikation ein neues liberales Projekt für Europa vorzuschlagen. „Wie lässt sich die Politik der Angst durch die Politik der Hoffnung ersetzen?“

Zielonka analysiert messerscharf die politischen Drahtzieher, die das Ziel verfolgen, die nach 1989 geschaffene Ordnung in Europa wieder abzuschaffen: die europäische Integration, den konstitutionellen Liberalismus und die neoliberale Wirtschaft. Es ging bei der Revolution 1989 um „Demokratie, Sicherheit, Europa, Grenzen und Kultur, nicht nur um Brot und Butter."

Dieses Buch wurde vor dem Ausbruch des Corona-Virus geschrieben, aber es ist heute relevanter denn je. Heute steht nicht nur unsere Wirtschaft auf Messers Schneide, sondern auch unsere Demokratie. Die Bürger Europas sind so unzufrieden wie nie zuvor. Und der Ruf nach einer ordnenden Hand könnte unsere Freiheit kosten, wenn wir nicht aufpassen.

Da wir die Zukunft nicht kennen, plädiert der Autor dafür, „aktiv durch Versuch und Irrtum ins Ungewisse zu gehen“. Selbst den Kapitalismus sollten wir neu erfinden, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Klimawandel, Armut und Ungleichheit – anzugehen. Deregulierung und Privatisierung sind keine tragfähigen Konzepte für die Zukunft. Unternehmenseffizienz und soziale Gerechtigkeit dürfen nicht länger Gegensätze darstellen. 

„Das Internet hat die Bedeutung der Demokratie ebenso verändert wie die Erfindung des Buchdrucks.“ Wenn Sie die Tragweite dieses Satzes verstehen, wissen Sie, was heute auf dem Spiel steht. 

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

Herzliche Grüße

Renate Wettach


Autor: Jan Zielonka
oSoftcover: 206 Seiten
Verlag: Campus Verlag
Auflage: 2019
Preis: 19,95 €

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